Von Mumbai nach Bhāvnagar in Gujarat: was für beeindruckende und einprägsame Bilder. Nur ein Ausschnitt unserer Reise quer durch Indien, die später in Cochin und Kovalam im Süden enden wird. Der erste Kulturschock in Mumbai, der indischen Großstadt. Dann weiter nach Bhāvnagar: knapp 600 km vom hektischen, schnellen und armen Mumbai entfernt. Der zweite Kulturschock in Zwiebel Country.

 
Angekommen in Gujarat

 

Da stehen wir nun: auf dem Rollfeld in Bhāvnagar in Gujarat. Ein Rollfeld mit Flughafengebäude. Der Weg vom Flugzeug zur Abfertigungshalle zu Fuß. Die Landschaft flach und ausgetrocknet. Keine Bäume, nur Sträucher. Unser Fahrer und unser Führer erwarten uns. Fahrer und Führer? Das Auto ist zu klein. Wir brauchen ein zweites. Für das Gepäck und uns. Zwei silberne Jeeps im Konvoi: Nicht gerade unauffällig auf Straßen mit bunten „Töff-Töffs“, überladenen Motorrädern und LKWs mit Menschen auf der Ladefläche. Von Bhāvnagar Richtung Mahuva, an der Küste entlang.

 


 

Auf dem Weg nach Mahuva

 

Rechts und links der Straße weitläufige Firmen, Ölaufbereitung, Stahlwerke. Gujarat, erklärt der Führer, lebt von der Ship-Breaking Industrie, dem Ausschlachten alter Schiffe. Weil die Löhne in Indien so viel billiger sind als in China, werden hier die alten Schiffe aus der ganzen Welt abgewrackt. Die Schiffe auseinandergeschweißt, der Stahl aufbereitet, die Ölreste abgesaugt und wieder aufbereitet. Wir erfahren, dass die Natur es hier gut gemeint hat mit den Firmen, denn ist die Tide hoch, können die Schiffe bis zur Küste fahren. Bei Ebbe stehen die alten Schiffe im Trockendock. Oder was man so nennen kann. Die Arbeitsbedingungen sind einfach, sehr einfach. Die Löhne niedrig, Schutzausrüstung für die Arbeiter gibt es so gut wie gar nicht, die Anzahl der Arbeitsunfälle ist sehr hoch. Dennoch kommen Wanderarbeiter aus noch ärmeren Regionen Indiens in diese Region, um Arbeit zu finden.

 

Wir fahren über die schlaglochgepflasterten Straßen im Linksverkehr. Straßen ohne Befestigungen, schmal und schlecht ausgebaut. Einspurig zu befahren – nach deutschen Verhältnissen jedenfalls. Nach indischen mindestens aber dreispurig. Links und rechts der reguläre Verkehr, in der Mitte die Überholspur. Man fährt zügig, und langsame Fuhrwerke wie Töff-Töffs oder Ochsenkarren werden konsequent immer überholt –eingeleitet mit eindringlichem Hupen. Manche der bunt bemalten, meist betagten Lastkraftwagen fordern sogar zum Hupen beim Überholen auf: Please bumb! steht in großen Lettern auf der rückwärtigen Ladeklappe. Fußwege gibt es nicht, die Fußgänger gehen auf der Straße. Das macht das Überholen noch einmal spannender.

Manchmal fahren die Fahrer lieber auf der rechten Spur, wegen zu vieler Schlaglöcher. Begegnen sich dann zwei entgegenkommende Fahrzeuge, wird es kurzzeitig kritisch: denn jetzt heißt es wieder auf die richtige Spur (links) zu kommen. Dieser kurzzeitige Fahrbahnwechsel passiert meistens unmittelbar vor dem Big Bang – und bringt den vorsichtigen, europäischen (Bei-)Fahrer kurzzeitig vor den Rand des Nervenzusammenbruchs.

 

Weiter Richtung Süden – die Straßen werden leerer, die Menschen ärmer. Sehr viel ärmer. Vorbei an Baumwollfeldern in voller Blüte. Kinder arbeiten auf den Feldern. Ochsenkarren bringen neue Arbeitskräfte. Handarbeit.

Landwirtschaft in Indien trägt zu 30 % am Bruttosozialprodukt bei und beschäftigt dabei zwei Drittel der Bevölkerung. Die klimatischen Bedingungen in Indien sind günstig: Wärme, tropische und subtropische Bedingungen lassen eine Vielzahl von Produkten wie Kaffee, Tee, Reis, Stärkepflanzen, Erdnüssen, Zwiebeln und Gewürze in Indien wachsen. Über 43 % des Landes werden mit landwirtschaftlichen Produkten bebaut. Und das Land ist groß – 10-mal größer als Deutschland mit 1,2 Miard. Menschen!
In den kleineren Ortschaften begegnen wir der Armut. Niedrige Hütten säumen den Weg. Die Menschen sehen blass und mager aus. Mein Gott, sind die arm! Übergewicht? Gibt es hier nicht. Ein Land wie Indien gehört nicht umsonst zu den BRIC Staaten, wie Brasilien, Russland oder China. Aber es ist noch weitaus ärmer als diese. Mit einer gewaltigen Bevölkerungsexplosion und einer Bevölkerung von geschätzten 1,2 Mrd. Menschen, leben über 25 % der Inder in Armut.

 

Zwiebelprovinz

 

Wir erfahren auf unserem Weg durch Gujarat mehr darüber. Indien ist nach China einer der größten Anbauer von Zwiebelprodukten. Gujarat ist die fünftgrößte Zwiebelprovinz Indiens, in der neben Erdnüssen und Baumwolle auch Zwiebeln und Knoblauch angebaut werden. Im Jahr 2017 sollen in Gujarat 72.000 Mio. Hektar mit Zwiebeln gepflanzt worden sein – mit einer Ausbringungsmenge von 1,8 Mio. Tonnen Frischzwiebeln. Das meiste geht davon in den Eigenverbrauch. Von 65 Zwiebelverarbeitern in Mahuva sind es heute etwa 15, die sich auf den Export von getrockneten Zwiebeln spezialisiert haben.

Unser erster Geschäftspartner, den wir besuchen, ist Zwiebelverarbeiter und -exporteur. Und er ist übergewichtig. Zwiebeln sind zwar Grundnahrungsmittel in Indien, aber dick wird man eigentlich von diesem Gemüse nicht. Anders als in Europa, lautet hier die Formel: dick bedeutet Wohlstand und dünn Armut.

Nur etwa 15 % der Ernte gehen in den Export. Steigt der Zwiebelpreis in Indien, wird ein Export-Verbot ausgesprochen und es dürfen keine Zwiebeln mehr für den Export verarbeitet werden. Sinkt der Zwiebelpreis, wie im Moment, werden Anreize für die Exporteure geschaffen, damit mehr Zwiebeln vom Markt genommen und exportiert werden. Damit will die Regierung verhindern, dass es wiederholt Aufstände wegen der Zwiebelpreise gibt.

 

 
 
 
 

Es ist Dezember, kurz vor der Zwiebelernte. Die Maschinen der Zwiebelverarbeiter werden gewartet, damit sie fit für die nächste anstehende Produktion sind.

 
Keine Cash Crop

 

Anders als bei Pfeffer, ist die Zwiebelernte keine Cash-Crop! Die Zwiebelbauern müssen ihre geernteten Zwiebeln sofort verkaufen, weil sie nur begrenzt haltbar sind. (siehe unseren zweiten Beitrag in diesem Spice Letter „Tränende (Zwiebel) Augen“) Und das geht nur über die lokalen Zwiebelmärkte.

 

Pfeffer, der im Süden Indiens angebaut wird, wird getrocknet und von den Bauern gelagert. Ein Mittelsmann kauft die Bestände auf und bezahlt sofort cash. Wenn der Bauer nicht heute verkaufen will, sondern morgen einen besseren Preis erzielen kann, verkauft er erst am nächsten Tag.

 

15 % der indischen Zwiebelernte gehen in den Export. Davon ein Teil frisch, ein kleinerer Teil getrocknet als Pulver, Flakes oder in gekibbelter Form. Für die getrocknete Verarbeitung werden die Zwiebeln gesäubert, getrocknet, geschält, geschnitten, gemahlen und gesiebt. Einige Lieferanten haben sogar eine „SORTEX“ – ein optischen Farbausleser. Made in India selbstverständlich, nicht das Original. Andere haben einen Metalldetektor. Die Produktionen sind überwiegend einfach, aber sauber. Iso-Zertifiziert. Wir lernen: europäische Käufer sind Qualitätskäufer. Amerikanische Käufer Preiskäufer. Aha.

 

Dort wo in Deutschland Transportbänder oder Fahrstühle benutzt würden, werden hier Arbeitskräfte eingesetzt. Es gibt keine Gabelstapler, es gibt keine Paletten. Die sind zu teuer, wird uns erklärt. Und Arbeitskräfte sind ungleich billiger. Wir überschlagen: Ein indischer Arbeiter verdient 20 Rupien die Stunde, das sind 0,30 Cent. Dafür kann man eine Menge Säcke mit den Händen stapeln. Selbst wenn man einen Gabelstapler aus dem Ausland kaufen würde, hätte man immer noch niemanden, der ihn fahren kann. Von der Ersatzteilbeschaffung ganz zu schweigen.

 

Das nächste Hotel ist 90 Minuten entfernt

 

Es ist spät, wir fahren mit dem Auto 50 km weiter, stolze 1,5 h Fahrzeit, in das nächste und beste Hotel vor Ort. Auf ungepflasterten Straßen. Der Staub wirbelt auf, die Menschen huschen vor den Scheinwerfer auf den engen Straßen an den Straßenrand. Die Städte sind laut und eng und schmutzig. Überall Schmutz: Plastikreste, Verpackungen, Flaschen. Niemand macht sich die Mühe, den Müll aufzuheben. Eine Müllabfuhr gibt es nicht. Wird es zu viel, wird der Müll angehäuft und am Straßenrand verbrannt. Geißender Gestank und Rauch, der in den Augen brennt, macht sich in der Hitze breit.

An den Straßenrändern stehen Kühe und stöbern im Müll. Nicht alles sind heilige Kühe – hier sind es die Tiere, die für die Bewirtschaftung der Felder gebraucht werden. Zu Hause esse ich nie wieder Rindfleisch!

 

 

Kein Spaß: kein Fleisch, kein Bier…..

 

Unser Hotel ist ein staatliches Hotel. Das Hotelpersonal ist schon ganz aufgeregt, als wir ankommen. Es gibt Streit, wer uns die Koffer tragen darf. Denn derjenige kassiert dann das Trinkgeld. Langatmiges Einchecken: wo kommen Sie her, wann sind sie in Indien angekommen, wie hieß das letzte Hotel, wo fahren sie danach hin, wann reisen sie wieder aus Indien aus, was ist der Zweck ihres Besuches.

Jetzt ein Bier, stöhnen wir. Der Hotelpage, der die Auseinandersetzung um die Koffer gewonnen hat, bringt uns in unsere Hotelzimmer und zeigt stolz die Ausstattung. Klimaanlage, großes Badezimmer, Minibar. Man merkt, er freut sich darüber, dass er in einem solchen „Luxus“-Hotel arbeiten darf.

Als er gegangen ist, öffnen wir die Minibar (ein Bier?) und entdecken vier Dosen. Zwei Sprite ( abgelaufen seit drei Monaten), zwei andere Erfrischungsgetränke in Dosen (ebenfalls abgelaufen) und einige Flaschen Wasser. Beim genaueren Hinsehen wölbt sich ein Dosendeckel: nein danke!

 
 


 
 

Unser Weg führt geradewegs in das Restaurant. Dort lernen wir, wovor wir gewarnt worden sind: striktes Alkoholverbot. Gujarat lebt unter Prohibition! Mahatma Gandhi, der selber aus Gujarat kam, war strenger Nicht-Alkoholiker. Und weil in Gujarat der Anteil der Moslems höher als in anderen Regionen Indiens ist, hat man den Besitz und den Konsum von Alkohol in dieser Region verboten. Das hier die vegetarische Küche nach Ghandi ebenfalls präferiert wird – und es kaum Fleischgerichte gibt – ist selbstverständlich für Ghandis Anhänger.

 

Am nächsten Tag fahren wir wieder in den Süden. Die gleiche Straße. Die gleiche Strecke. Wieder 1,5 h auf holpriger Straße. Und dann, bei unserem nächsten Lieferanten angekommen, entdecken wir: sein Unternehmen war keine 500 Meter von unserem gestrigen Lieferanten entfernt. Wie überhaupt alle Zwiebellieferanten aus Gujarat. Der Punkt sei nur, lacht unser Fahrer, dass zwischen dem Lieferanten von heute und dem Lieferanten von gestern kein vernünftiges Hotel gelegen habe, dass man uns Europäern zumuten konnte.

 

Einen Tag später stehen wir schon wieder in Gujarat am Rollfeld und warten darauf, nach einer letzten Handgepäckkontrolle vor der Gangway, in den Flieger nach Mumbai steigen zu dürfen. Unser nächstes Ziel: Cochin im Südwesten Indiens an der Malabarküste, 2500 km. Eine der reicheren Regionen Indiens- fruchtbar und grün: der Gewürzgarten Indiens. Eine Wohltat nach den anstrengenden Tagen in Gujarat.